Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer im sog. „Verfahren 42“

19. Juli 2018 | Lesedauer: 4 Min

Im Fall Enteco Baltic hat sich der EuGH noch einmal mit der Bedeutung der USt-IdNr. für die Anwendung einer Steuerbefreiung auseinandergesetzt. Diesmal ging es um die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer bei einer anschließenden innergemeinschaftlichen Lieferung (sog. Verfahren 42). Der EuGH hat in konsequenter Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass die Angabe der USt-IdNr. des Erwerbers lediglich eine formelle Anforderung ist und keine materielle Voraussetzung für die Befreiung von der EUSt. Zudem enthält das Urteil Ausführungen zum guten Glauben und zur Beweiskraft von im Steueraussetzungsverfahren ausgestellten Belegen.

Die Einfuhr von Gegenständen kann steuerbefreit sein, wenn der Schuldner der EUSt (i.d.R. der Einführer) diese für innergemeinschaftliche Lieferungen verwendet. Der Einführer muss die Anwendung der Steuerbefreiung in der Einfuhranmeldung angeben. Dies geschieht durch den Verfahrenscode 42 (daher auch der Begriff „Verfahren 42“). Zusätzlich muss der Einführer u. a. die von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr. des Erwerbers angeben. In Enteco Baltic (C-108/17 vom 20.06.2018) ging es um die Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei der Angabe einer anderen USt-IdNr. als der des tatsächlichen Erwerbers.

1. Sachverhalt

Enteco Baltic führte Treibstoffe aus Weißrussland nach Litauen ein. Sie fertigte die Treibstoffe nach dem „Verfahren 42“ unter Befreiung von der EUSt zum freien Verkehr ab. In den Einfuhranmeldungen nannte Enteco Baltic die USt-IdNr. eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerbers, an den sie die Treibstoffe zu liefern beabsichtigte. In einigen Fällen lieferte Enteco Baltic die Treibstoffe jedoch an andere Abnehmer als ursprünglich vorgesehen. Die Angaben über die tatsächlichen Erwerber einschließlich ihrer USt-IdNr. teilte Enteco Baltic den Zollbehörden immer im Nachhinein monatlich mit. Enteco Baltic übergab den Treibstoff den Erwerbern in Litauen. Diese waren für die Weiterbeförderung in die Bestimmungsmitgliedstaaten verantwortlich. Die Beförderungen erfolgten durch Speditionen im sog. Steueraussetzungsverfahren für verbrauchsteuerpflichtige Waren aus einem Steuerlager in Litauen in Steuerlager in den anderen Mitgliedstaaten. Enteco Baltic bekam ordnungsgemäß ausgestellte elektronische Dokumente sowie CMR-Frachtbriefe, die die Beförderung und den Erhalt der Treibstoffe im Empfangssteuerlager bestätigten. Im konkreten Fall waren die Steuerlagerbetreiber nicht identisch mit den Erwerbern.

2. Problematik

Nach Auskunft der Steuerbehörden der Bestimmungsländer sei es bei der Durchführung des Verfahrens 42 möglicherweise zu Missbräuchen gekommen. Die Erwerber hätten die Mehrwertsteuer nicht erklärt. Weiterhin sei es ungewiss, ob sie den Treibstoff überhaupt bekommen haben. Daraufhin versagte die litauische Zollbehörde Enteco Baltic die Befreiung von der EUSt. Enteco Baltic habe den Treibstoff nicht an die in den Einfuhranmeldungen angegebenen Erwerber geliefert. Es fehle der Nachweis, dass der Treibstoff befördert worden sei, und dass das Recht, darüber wie ein Eigentümer zu verfügen, auf die in den Rechnungen genannten Personen übertragen worden sei. Enteco Baltic hatte daher Mehrwertsteuer, Zinsen und Bußgelder nachzuzahlen.

3. Zentrale Aussage des EuGH

Der EuGH stellt für den konkreten Fall fest, dass die Steuerbefreiung der Einfuhr nicht verweigert werden darf, wenn der Einführer nicht die USt-IdNr. des tatsächlichen Erwerbers angegeben hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Importeur die Behörde immer ordnungsgemäß über Änderungen der Identität der Erwerber informiert hat. Der EuGH begründet seine Auffassung erneut damit, dass es sich dabei nur um ein formelles Erfordernis handelt. Die Einfuhr ist steuerfrei, wenn der Einführer anschließend eine selbst steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung vornimmt. Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist steuerfrei, sofern die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. KMLZ Newsletter 05/2017). Die Angabe der USt-IdNr. des Erwerbers gehört weder bei der Befreiung von der EUSt noch bei der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu diesen materiellen Voraussetzungen.

Der EuGH betont allerdings wie bereits in der Vergangenheit zwei Einschränkungen: Zum einen dürfen keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vorliegen. Der Einführer muss gutgläubig sein. Zum anderen darf der Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen nicht den sicheren Nachweis verhindern, dass die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Irgendwelche Nachweise sind also erforderlich. Diese ergeben sich aus den Mehrwertsteuerregelungen des Einfuhrlands. Der EuGH sieht CMR-Fracht­briefe und elektronisch ausgestellte Belege im Steueraussetzungsverfahren jedenfalls als ausreichend an, wenn diese die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachweisen. Das bedeutet: Der Gegenstand muss bei der Einfuhr dazu bestimmt sein, in einen anderen Mitgliedstaat befördert zu werden. Weiterhin muss diese Beförderung im Rahmen der nachfolgenden innergemeinschaftlichen Lieferung tatsächlich erfolgen. Ob sich die genaue Adresse des Erwerbers aus den Unterlagen ergibt, ist nicht relevant. Die Empfangsbestätigung durch das Steuerlager reicht aus.

4. Praxishinweis

Die Entscheidung setzt die Linie des EuGH fort, die Bedeutung der USt-IdNr. immer weiter zu reduzieren. Unternehmen sollten dennoch eine gültige USt-IdNr. des Erwerbers angeben, die sie (qualifiziert) abgeprüft und dokumentiert haben. Dies ist vor allem wichtig, um den Vorwurf der Bösgläubigkeit zu vermeiden. Erwiesenermaßen ist das „Verfahren 42“ besonders betrugsanfällig. Hinzu kommt, dass eine Änderung der MwStSystRL voraussichtlich zum 01.01.2020 geplant ist. Danach soll die USt-IdNr. des Erwerbers materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferung werden. Dies muss konsequent auch für die Steuerbefreiung der Einfuhr gelten. Zudem soll ein einheitlicher Rahmen für die Belegnachweise geschaffen werden. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH ist dann nicht mehr anwendbar. Unternehmen sollten sich daher bereits jetzt mit den geplanten Änderungen befassen.

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